Montag, 6. April 2015

Der Medienkrieg um den Germanwings-Absturz

Ich betrachte die Meldungen der Lügenpresse über den Absturz der Germanwings-Maschine mit der erforderlichen Skepsis. Wenn die Ermittlungen noch in vollem Umfang laufen, es verschiedene Ursachen für den Absturz geben kann, aber eine dieser Ursachen herausgepickt wird, als wäre sie die bereits erwiesene Ursache, dann ist etwas faul an der Sache. Dann haben wir es mit desinformierenden Kampagnen-Journalismus oder einer flächendeckenden Verblödung in den Redaktionsstuben zu tun.

Der Chef der Vereinigung deutscher Kriminalbeamter hat sich über die Berichterstattung in den Medien nicht ohne Grund in deutlichen Worten beschwert. Und auch die Pilotenvereinigung war über die dümmliche voreilige Berichterstattung ebenso verärgert, wie das bei allen halbwegs logisch denkenden Menschen der Fall war. Dazu passte auch, dass sich die Sendeanstalten zu reinsten Werbepartnern von Hollande und Merkel aufspielten. Beide Politiker wollten es sich nicht verkneifen, das Bergungspersonal von der Arbeit abzuhalten, um beim Wahlvieh durch gespielte Anteilnahme zu punkten.

Dem Piloten aus reiner Spekulation heraus Selbstmord unterzujubeln, obwohl er ebenso gut einen Herzanfall oder Bewusstlosigkeit erlitten haben könnte, was zudem weniger Theater hervorgerufen hätte, kann eben nicht als seriöse Berichterstattung gelten. Der Tenor der Meldungen war stets der gleiche: "Die Ursache des Unglücks ist erwiesen - der Pilot beging Selbstmord - das könnte nach den jüngsten Spekulationen neben mehreren anderen Möglichkeiten die Unglücksursache gewesen sein". Warum versteifte sich die Presse derart auf die Selbstmordtheorie, als ob sie diese im Wettstreit miteinander zum Dogma erheben wollte?

Warum wurde in der Lügenpresse beispielsweise ein entscheidender Aspekt mit aller Mühe ignoriert? Nämlich der, dass die Piloten der Germanwings über "überlriechende Gasentwicklungen" in den Kanzeln klagen. Ein Problem, das laut Pilotengewerkschaft bekannt sei und zu Übelkeit, Konzentrationsschwäche und drohender Bewusstlosigkeit bei den Piloten führe. Ein Problem, das die Piloten mit aufgesetzter Sauerstoffmaske und eingeleiteten Sinkflug begegnen sollen, wenn man denn auf die Erfahrungen der Piloten zu hören vermag.
Ein Selbstmord, der so spektakulär, aber ohne Veröffentlichung eines Abschiedsbriefes vollzogen worden sein soll, klingt im Hinblick auf die anderen Möglichkeiten, die für das Unglück infrage kommen, als eher wage Annahme. Zudem sie bereits zu einem Zeitpunkt als zweifelsfreie Tatsache gemeldet wurde, deren Unfehlbarkeit man gleichzeitig mit den vielen mitvermeldeten "wahrscheinlich", "womöglich", wenn, dann", "hätte sein können" unterstrichen wissen wollte.

Und doch gibt es auch die andere Seite der Medaille. Ob diese nun die gleichen Quellen wie die (scheinbare) Gegenseite nutzt, sei einmal dahin gestellt. Der folgende Artikel aus der jungenWelt beschäftigt sich mit der vermeintlichen Konkurrenz zur Lügenpresse.
Germanwings abgeschossen
Jede Lüge findet Dumme, die sie glauben. Viele Kritiker der Mainstreammedien sind erstaunlich leichtgläubig
Von Knut Mellenthin
Die Internationale der »Wahrheitssucher« hat ein neues Thema: Der Absturz eines deutschen Passagierflugzeugs in Südfrankreich am 24. März war das Ergebnis eines technischen Ungeschicks der US-amerikanischen Luftwaffe. Eigentlich sollte das noch in der Entwicklung befindliche Laser-Abwehrsystem HELLADS – die Abkürzung steht für High Energy Liquid Laser Area Defense System – getestet werden. Zu diesem Zweck wollte die Air Force eine eigens gestartete Cruise Missile mit Hilfe eines Laserstrahls zerstören. Statt dessen wurde versehentlich die Germanwings-Maschine mit 150 Menschen an Bord abgeschossen.
Woher wissen die »Wahrheitssucher« das? Angeblich steht es so in einem Bericht des russischen Verteidigungsministeriums vom 25. März. Ausgangspunkt der sensationellen Erkenntnisse sollen die Beobachtungen der Besatzung des U-Boot-Jägers Seweromorsk, eines zur Zeit gerade im Mittelmeer kreuzenden russischen Kriegsschiffs, gewesen sein. Das Ministerium hat eine englischsprachige Website. Über einen solchen Bericht ist dort nichts zu finden. Auch in russischen Medien tauchte er nicht auf. Das stört richtige »Wahrheitssucher« selbstverständlich nicht: Offensichtlich muss es sich um ein strenggeheimes internes Papier gehandelt haben. Dass in der »Lügenpresse« niemand davon Notiz nahm, bestärkt sie erst recht in der Überzeugung, dass an der Sache etwas dran sein muss.
Aber wie gelangte das Dokument ausgerechnet in die Kreise der »Wahrheitssucher«? Da verlieren sich in den meisten Darstellungen die Spuren. Es gibt in diesem Milieu einen gutfunktionierenden Automatismus, der dafür sorgt, dass Gerüchte aus trüben Quellen ganz schnell mehrfach gewaschen und umlackiert werden. Die verschiedenen Websites und Blogs, die in den Wiedergaben zitiert werden, sind oft längst nicht mehr die, von denen die Geschichte zuerst in die Welt befördert wurde.
Im Fall des »Laser-Abschusses« gibt es ein Indiz, das einen Anfangsverdacht begründet: Frei erfundene Geschichten unter Berufung auf angebliche russische Geheimberichte zu verbreiten, ist seit mehreren Jahren ein Markenzeichen der englischsprachigen Website whatdoesitmean.com. Mit Hilfe von Google ist schnell zu ermitteln, dass diese Website tatsächlich der Ausgangspunkt der Geschichte über den Laserabschuss war. Sie erschien dort am 25. März unter der Überschrift »US Laser Test Destroys Germanwings Airliner Killing 150 Innocent Civilians«.
Die phantasievollen »Enthüllungen« dieser Website sind vergleichsweise aufwendig und geschickt gearbeitet: Sie nennen real existierende Dinge und echte Ereignisse. Außerdem ist ein bisschen Fachwissen auf Wikipedia-Niveau in die Texte integriert. Durch zahlreiche Links können sich die Leser davon überzeugen, dass einige unwesentliche Details an den Berichten wirklich stimmen.
Whatdoesitmean.com veröffentlichte im März fast täglich Meldungen über einen unmittelbar bevorstehenden nuklearen Weltkrieg. Am 14. März erfuhr man dort, dass die britischen Atomstreitkräfte dabei seien, sich auf einen Erstschlag gegen militärische und zivile Ziele in Russland vorzubereiten. Russische Kräfte seien in Alarmbereitschaft versetzt worden. Am 15. März wurde berichtet, dass US-Präsident Barack Obama seinem Kollegen Wladimir Putin privat mitgeteilt habe, es stehe ein Weltkrieg bevor und er habe nicht die Macht, ihn aufzuhalten. Am 17. März hieß es, Putin habe die USA und die EU gewarnt, dass der britische Regierungschef David Cameron »entfernt« werden müsse, »um die katastrophalen Folgen eines totalen Krieges abzuwenden«. Am 19. März behauptete Whatdoesitmean.com, eine Offizierin der US-Marine sei verhaftet worden, weil sie sich geweigert habe, Codes zur Aktivierung eines atomaren Erstschlags gegen Russland weiterzugeben.
Die Frau, deren Name im Text mit einem Link versehen war, existiert tatsächlich, ihre Festnahme aus unklaren Gründen war in US-Medien gemeldet worden. Das ist typisch für die Art, wie die Macher der Seite oft ihre Geschichten konstruieren. So berichteten sie am 10. November 2012, dass Obama einem geplanten Militärputsch durch die Entlassung mehrerer Generäle und anderer Offiziere zuvorgekommen sei. Die genannten Personalmaßnahmen waren real, nur ihre politische Zuordnung war frei erfunden.
Die interessanteste Frage lässt sich leider nicht beantworten: Wer produziert diese Website und warum? Dass dahinter eine westliche Dienststelle steckt, die Meldungen aus Russland lächerlich und unglaubwürdig machen will, ist plausibel, aber nicht beweisbar. Dass auf jeden Fall genau dies der Effekt ist, liegt aber auf der Hand.
jW

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