Montag, 7. Mai 2012

Berlin verschärft Kampagne gegen Kiew

Herr Wichtig
Es reicht der Bundesregierung nicht, daß die prominenteste Gefängnisinsassin der Ukraine, Julia Timoschenko, wegen ihres Bandscheibenleidens von deutschen Ärzten behandelt wird. Berlin will alle dortigen Regierungsgegner unter seinen Schutz stellen. Man erwarte nicht nur eine Lösung des Falls Timoschenko, sondern eine Normalisierung des Umgangs mit der Opposition in der Ukraine insgesamt, sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich der Bild am Sonntag.
Damit hält der CSU-Scharfmacher nicht nur an der gegenstandslosen These fest, daß die rechtmäßig verurteilte Großbetrügerin aus politischen Gründen verfolgt werde, sondern übernimmt auch ungeprüft die Foltervorwürfe aus dem Umfeld der Gefangenen. Aus ihrer Parteinahme für die inhaftierte ukrainische Oppositionsführerin leitet die Berliner Regierung wie selbstverständlich ein Recht auf Einflußnahme bei inneren Angelegenheiten der Ukraine ab. In der Androhung eines politischen Boykotts der von Polen und der Ukraine gemeinsam ausgerichteten Fußballeuropameisterschaft meint sie das geeignete Druckmittel für deutsches Powerplay gefunden zu haben.
Die DFB-Truppe fährt als einer der großen Favoriten zur EM in die Ukraine, in der die deutschen Gruppenspiele und das Finale stattfinden. Das dürfte das BRD-Politestablishment – neben der schwarz-gelben Koalition betätigen sich SPD und Grüne als besonders fanatische Boykotteinpeitscher – zu der Annahme bewogen haben, auch politisch die Spielregeln bestimmen zu können. Deutsche Führungsqualitäten sind gefragt, um die NATO-affinen Kräfte in der Ukraine wieder in Marsch zu setzen.
Im hiesigen Fußball, beginnend mit dem »Wunder von Bern«, haben die reaktionären Eliten schon immer einen willfährigen Verbündeten gehabt. Daß der doch sehr fußballbeschränkte Uli Hoeneß die deutschen Kicker zur »Solidarität mit den ukrainischen Regierungskritikern« aufrief, sollte deshalb auch nicht sonderlich verwundern. Erwartungsgemäß war Philipp Lahm der erste, der den Steilpaß des Bayern-München-Präsidenten angenommen hat. »Wenn ich sehe«, sagte er, »wie das Regime Julia Timoschenko behandelt, dann hat das nichts mit meinen Vorstellungen von Demokratie zu tun.« Der Herr Wichtig hat gar nichts gesehen. Der plaudert nach, was ihm vorgesagt wurde. Seine Ansichten zu demokratischen Grundrechten, zu Fragen wie persönlicher Freiheit oder Pressefreiheit finde er in der Ukraine nicht wieder, meinte Lahm. Woher er das weiß? Aus der Lektüre ukrainischer Zeitungen eher nicht.
Nun sollte man es Fußballern nicht unbedingt zum Vorwurf machen, über das Spielfeld hinaussehen zu wollen. Aber dann sollen sie bitte schön ihre eigene Ansicht zum besten geben und nicht von der DFB-Pressestelle vorgefertigtes Zeug. So aber haben die Lahm-Äußerungen nichts mit der Meinung eines couragierten Bürgers im Nationaltrikot, sondern alles mit dem allgegenwärtigen Meinungsterror zu tun.
Von Werner Pirker (jungeWelt)

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