Mittwoch, 14. Juli 2010

Gegen Madrid

Politiker und Juristen boxen gerne undemokratische und unbeliebte "Fakten" durch, wenn das Volk durch Brot und Spiele abgelenkt scheint.
Hier am Beispiel Katalonien/Spanien.
Übrigens wurde während dem WM- Finale (Spanien- Niederlande) im deutschen Fernsehen, mehrfach der unzeitgemäße spanische Feudaladel in den höchsten Tönen verehrt, aber dafür wurde dieser Massenprotest mit keinem Wort erwähnt. Auch nicht in den Nachrichten zwischendurch. Dafür gab es den Politiker und Evangelikalen Wulff zu sehen. Es geht ja schließlich hierbei nur um die Zustände in einem EU- Land und nicht um China oder Rußland. Was sind schon über eine Million protestierende katalonische EU- Bürger gegenüber 120 randalierende Mönche des Rotmützenordens im Tibet?
»Wir sind eine Nation«: Über eine Million Katalanen protestieren in Barcelona gegen Beschneidung des Autonomiestatuts
Von Ingo Niebel (Bericht und Foto: Junge Welt)
Madrids Mißachtung demokratischer Grundregeln und nationaler Eigenheiten führte am Samstag zu Massendemonstrationen historischen Ausmaßes in Katalonien und auch im Baskenland. In der katalanischen Hauptstadt Barcelona gingen anderthalb Millionen Menschen auf die Straße, so die Veranstalter; die Polizei sprach von 1,1 Millionen. Sie demonstrierten für das Autonomiestatut und gegen das Urteil des spanischen Verfassungsgerichtes von Freitag, das wesentliche Teile desselben kassiert hat.
In der baskischen Küstenstadt Donostia (span.: San Sebastián) zeigten sich mehrere zehntausend Demonstranten solidarisch und forderten das Selbstbestimmungsrecht für das Baskenland. Zu beiden Protestzügen war parteiübergreifend mobilisiert worden. In Barcelona beteiligte sich sogar der sozialdemokratische Präsident der katalanischen Regionalregierung, José Montilla (PSC). Aufgerufen hatten etwa 1 400 katalanische Organisationen wie Parteien, Gewerkschaften sowie Kultur- und Wirtschaftsvereinigungen.
»Wir sind eine Nation« – das Motto, das den Aufmarsch in Barcelona prägte, ist dem Autonomiestatut von 2006 entnommen. Das Verfassungsgericht in Madrid hatte es für illegal erklärt, da die Magna Charta des Staats Spanien lediglich eine Nation anerkennt – die spanische. Am Freitag hatte das höchste Gericht nach vierjährigem Tauziehen zwischen den Richtern um einen gemeinsamen Text seine Urteilsbegründung veröffentlicht. Demnach sei es zwar eine »legitime Idee«, die Region als Nation zu bezeichnen, habe aber keine rechtliche Grundlage.

Vorausgegangen war eine Verfassungsklage der postfranquistischen Volkspartei (PP).Daß die Corte Constitucional diese überhaupt angenommen hatte, hatte bereits für Unmut unter den insgesamt sieben Millionen katalanischen Bürgern gesorgt – vor allem angesichts der Tatsache, daß das Autonomiestatut zuvor drei Hürden passiert hatte. Es war vom katalanischen und vom spanischen Parlament ebenso bestätigt worden wie durch ein Referendum in Katalonien. Die Urteilsbegründung vom Freitag löste folglich auch deswegen Empörung aus, weil es den Willen der Bevölkerungsmehrheit mißachtet. 
Auf die breite gesellschaftliche und politische Unterstützung des Protestes in Katalonien reagierte Madrid mit Desinformation. So meldete die regierungsnahe Tageszeitung El País Samstag nacht noch die von Polizei und Veranstalter bekanntgegebenen Teilnehmerzahlen. Grundtenor: Die Kundgebung am Samstag in Barcelona war noch gewaltiger als die Manifestation vom 11. September 1977. Knapp zwei Jahre nach Ende des Franco-Faschismus hatten Hunderttausende Katalanen für »Freiheit, Amnestie und Autonomiestatut« demonstriert. Am gestrigen Sonntag dann reduzierte El País die Teilnehmerzahl auf »Zehntausende« und gab eine Zahl von 56000 Demonstranten an. Alle staatstragenden Medien rückten zudem das WM-Endspiel Spanien gegen die Niederlande ins Zentrum. 
Trotzdem wird das Regieren für Premier José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) schwieriger: Seine Minderheitsregierung hat die Unterstützung aller Regionalparteien aus Katalonien verloren. Dort finden im Herbst 2010 Landtagswahlen statt. 

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